Zurück zu Dokumente  Mumia Solidaritäts Index MSI [de]   31.10.2002 
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  Mit geeinter Kraft nach vorn
Vereinigungskongreß der VVN-BdA mit der Wahl der Leitungsgremien in Berlin beendet. Vermächtnis der Buchenwald-Häftlinge bekräftigt. Ehrenmitglied: Mumia Abu-Jamal. Aus  junge Welt vom 07.10.2002.
 
  Als am Sonnabend mittag im Konferenzzentrum Berlin-Rahnsdorf das Lied der Moorsoldaten angestimmt wurde, war dies nicht nur ein ergreifender Schlußpunkt unter einen bemerkenswerten Kongreß, sondern auch der Abschluß eines mehrstündigen Abstimmungsmarathons, der weniger der Wahl der neuen Leitungsgremien galt denn den mehr als ein Dutzend zur Beschlußfassung vorliegenden Anträgen. Zugleich fand damit ein langjähriger und langwieriger Prozeß der Annäherung und des Zusammenwachsens zweier antifaschistischer Organisationen seinen fürwahr historisch zu nennenden Abschluß: Die rund 200 Delegierten der westdeutschen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) und des ostdeutschen Partnerverbandes hatten bereits am Freitag mit großer Einmütigkeit ihre Vereinigung beschlossen und nun am Sonnabend mit der ersten gemeinsamen Bundeskonferenz der mit rund 11000 Mitgliedern größten und bedeutendsten antifaschistischen Organisation der BRD besiegelt (siehe jW vom 5./6. Oktober).

Nach jeweils getrennten Zusammenkünften beider Verbände hatten die Delegierten aus West und Ost am Freitag noch einmal ausgiebig ihren Zusammenschluß erörtert und die damit verknüpften Erwartungen formuliert. Keine(r) der Rednerinnen und Redner hatte Bedenken oder gar Kritik an der Vereinigung vorzubringen. Vielmehr sprach aus allen die Hoffnung, nun gemeinsam dem antifaschistischen Grundanliegen noch besser Gehör verschaffen zu können. Namentlich die wenigen Älteren, die selbst als Widerstandskämpfer und Verfolgte das Naziregime überlebt und vor 55 Jahren an der Wiege der damals schon einmal gesamtdeutschen Vereinigung gestanden hatten, bekräftigten ihre Genugtuung über diese Stunde des neuerlichen Zusammenfindens. Und auch jene Kameradinnen und Kameraden, die wegen Krankheit nicht selbst am Kongreß teilnehmen konnten, kamen zu Gehör: Willy Schmidt von der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora erinnerte an den Schwur der Buchenwalder, der noch immer nicht unumkehrbar verwirklicht ist: »Die Mächte von gestern wurden leider auch wieder die Mächte von heute ...« Auch Gertrud Müller, die Vorsitzende der Lagergemeinschaft Ravensbrück, begrüßte die Vereinigung uneingeschränkt: »Ich habe mit Ungeduld auf diesen längst fälligen Zusammenschluß gewartet«, schrieb sie.

Bei aller Sorge um die heute herrschenden Zustände in der größer gewordenen Bundesrepublik, bei aller Wehmut über die untergegangene DDR mit ihrem angeblich verordneten Antifaschismus – nicht zuletzt auch über den von der PDS vermasselten Wiedereinzug in den Bundestag, in dem nun Stimmen des kämpferischen Antifaschismus zu vermissen sein werden – war Optimismus die vorherrschende Stimmungslage. Der Wille zum Widerstand gegen alte und neue Nazis, gegen Krieg und neoliberalistische Umtriebe bestimmte die Diskussion. Fred Dellheim, bislang Vorsitzender der ostdeutschen VVdN, verwies auf die aktuellen Herausforderungen: Heute müssen wir jeden Tag von neonazistischen Anschlägen lesen: Friedhofsschändungen, antisemitische Angriffe, rassistisch motivierte Taten bis hin zum Mord – all das verlangt demokratische, verlangt breiteste antifaschistische Gegenwehr. »Der Zusammenschluß wird unsere Kräfte erhöhen und unseren Widerstand stärken.« Der heute 78jährige, der einst als Angehöriger der britischen Streitkräfte mithalf, Deutschland vom Faschismus zu befreien und 1947 zu den Mitbegründern der VVN gehörte, erinnerte zugleich – wie andere Redner auch – an die Tatsache, daß die Antifa-Organisationen regelmäßige Erwähnung in Verfassungsschutzberichten finden. »Auf einen Brief, den wir an den bayrischen Innenminister geschrieben haben, er möge den Naziaufmarsch zum Gedenken an Rudolf Heß in Wunsiedel verbieten, schrieb der uns zurück, er ›brauche keinen Ratschlag von linksextremistischen Organisationen‹.«

Mit Pfiffen und Pfui-Rufen reagierten die Anwesenden auch auf die Antwort der SPD-Politikerin Annemarie Renger, die namens des SPD-nahen Zentralverbandes demokratischer Widerstandskämpfer und Verfolgtenorganisationen (ZDWV) die Einladung zum Kongreß »aus gegensätzlichen politischen Überzeugungen« ausschlug. Mit Beifall angenommen wurden hingegen die Grußadressen der Vorsitzenden von PDS und DKP, des Bundesverbandes Information und Beratung für NS-Verfolgte, des Studienkreises Deutscher Widerstand 1933–1945, des Bundes der Euthansie-Geschädigten und Zwangssterilisierten, von Partnerorganisationen aus Frankreich, Rußland, der Tschechischen Republik und der Slowakei. Selbst der Bundespräsident wünschte dem Kongreß »bestes Gelingen«.

Blieben nachzutragen die eingangs erwähnten Anträge, die in erster Linie die aktuellen Erfordernisse und Handlungsschwerpunkte des Kampfes gegen Neofaschismus, Rassismus und Antisemitismus sowie – angesichts der erneut drohenden Kriegsgefahren – die Verhinderung eines Krieges gegen den Irak zum Inhalt hatten. Der bevorstehende 70. Jahrestag der Errichtung der faschistischen Diktatur in Deutschland soll zum Anlaß genommen werden, jedweden Revanchismus und Geschichtsrevisionismus zurückzuweisen und einmal mehr mit Nachdruck für die Verankerung des Antifaschismus im Grundgesetz zu streiten sowie auf die gerechte Entschädigung für Nazizwangsarbeit zu drängen. Schließlich und nicht zuletzt fand auch der Antrag der VVN-BdA-Kreisvereinigung Ortenau aus Baden-Württemberg einhellige Zustimmung, dem US-amerikanischen Journalisten und Bürgerrechtler Mumia Abu-Jamal die Ehrenmitgliedschaft der Organisation zu verleihen.

In den am Sonnabend zur Abstimmung stehenden geschäftsführenden Vorstand der nun einheitlichen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten wurden mit jeweils über 90 Prozent der Delegiertenstimmen die bisherigen (Ko-)Vorsitzenden des ostdeutschen Verbandes Regina Girod, Fred Dellheim und Heinrich Fink sowie die bisherigen westdeutschen Bundessprecher Cornelia Kerth, Peter Gingold, Werner Pfennig und Ulrich Schneider sowie Paul Bauer (Baden-Württemberg), Hans Coppi, Gerhard Fischer (beide Berlin) und Ludwig Elm (Thüringen) gewählt.
 
Quelle:
 junge Welt vom 07.10.2002.

Siehe auch:
Oktober 2002: Mumia ist Ehrenmitglied der VVN-BdA
Abu-Jamal von deutschen Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern geehrt (03.01.2003)

 
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