JACKSON, HÄFTLING NR. A 63837
Ein autobiographischer Brief
Soledad Gefängnis 10. Juni 1970

Lieber Greg,
wahrscheinlich habe ich mir mit dem Folgenden nicht genug Mühe gegeben, aber ich bin unter Zeitdruck - immer.
Ich könnte die kriminellen Aspekte meines Lebens ein wenig herunterspielen, aber dann wäre das nicht mehr ich. Das war ein wesentlicher Teil von mir, die Sache, daß ich mich im Laufe meiner Schulzeit und zu Hause dauernd verweigerte.
Von Kind an habe ich meinen Leuten was vorgemacht - echt war nur das Leben auf der Straße. Ich habe sogar den Nonnen und Priestern was vorgemacht, habe den Ministranten gespielt, um Meßwein klauen zu können, habe im Kirchenchor mitgesungen, weil sie das so wollten. Auf unseren Touren durch die reichen katholischen Schulen der Weißen wurden wir immer sehr gut behandelt, gefüttert und mit Geschenken eingedeckt. Der alte Pater Brown konnte mich zwar nicht ausstehen, stellte mich aber immer ganz vorne hin, wenn wir irgendwo eine Aufführung hatten. Ich weiß auch nicht genau, warum. Ich war das häßlichste und magerste kleine Scheusal der ganzen Gruppe.
Schwarze, die in den USA geboren werden und das Glück haben, älter als 18 Jahre zu werden, können todsicher damit rechnen, irgendwann mal ins Gefängnis zu kommen. Für die meisten von uns ist es einfach eine unausweichliche Phase in einer langen Reihe von Demütigungen. Als Sklave in diese Sklavenhaltergesellschaft hineingeboren und ohne je etwas zu erleben, was hätte die Basis für Erwartungen an meine Zukunft sein können, wurde auch ich von dem nach und nach zum Trauma werdenden Unglück beeinflußt, das schon so viele Schwarze hinter die Gefängnistore brachte. Ich war auf das Gefängnis vorbereitet. Es bedurfte nur noch geringfügiger psychischer Anpassung.
Jede Lebensgeschichte fängt mit der Mutter an. Meine Mama liebte mich. Zum Beweis ihrer Liebe und der Angst um das Schicksal ihres Jungen, wie sie alle Sklavenmütter hegen, versucht mich in ihrem Schoß drin zu behalten, zu verstecken, zu bewahren. Die Konflikte und Widersprüche, die mich bis ins Grab begleiten werden, haben genau da im Mutterschoß begonnen. Das Gefühl gefangen zu sein.....dieser Sklave wird sich niemals daran gewöhnen können, ich ertrage es nicht, weder damals noch jetzt - niemal:
Ich bin aufgefordert worden, mich "kurz" zu erklären, ehe Welt mich erledigt. Das ist schwierig, weil ich nichts von Einzigartigkeit halte, nicht so, wie sie Individuen zugesprochen wird, weil mir das zu eng mit der dekadenten kapitalistischen Kultur und ihrem Personenkult verknüpft ist. Ich habe mich eher immer bemüht, das Verbindende zu sehen, das die künstlichen Barrieren überwindet, die vor den verschütteten Schichten unseres Gehirns errichtet worden sind, vor der Gedankenwelt der Urgemeinschaft die in allen Schwarzen existiert. Aber wie soll ich denn den entflohenen Sklaven schildern, ohne ihn auch in seiner persöinlichen Besonderheit darzustellen?
Mit achtzehn Jahren wurde ich verhaftet und ins Gefängni steckt, weil ich mich nicht anpassen konnte. Die Akte, die der Staat über mich angelegt hat, liest sich wie das Sündenregister von zehn Männern.
Ich werde darin als Straßenräuber, Dieb, brecher, Glücksspieler, Landstreicher, Drogenabhängiger, Revolverheld, Ausbrecherkönig, kommunistischer Revolutionär und Mörder bezeichnet.