Zurück zu Dokumente  Mumia Solidaritäts Index MSI [de]   24.01.2000 
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  "Wir waren jung, idealistisch und wir waren ungeduldig"
Zur Geschichte und aktuellen Situation der seit mehr als zwanzig Jahren inhaftierten Gefangenen der Black Panthers
 
 

Dass es sich bei Mumia nicht um einen Einzelfall handelt, ist nicht neu. Ebensowenig wie die Tatsache, dass an seinem Fall eine Bewegung entsteht, die in dieser Größe und Breite heute fast nur noch im Antifa-Bereich zu finden ist. Sie erreicht vor allem viele junge Leute und verbindet dabei Themen wie Rassismus, Todesstrafe, Justiz, politische Gefangene und internationale Solidarität miteinander. Die Erkenntnis, dass diese Themen in eine Bewegung getragen werden müssen, die sich an einem Einzelfall orientiert, damit diese nach dem unbedingt notwendigen Kampf für Mumias Leben nicht wieder vollkommen verschwindet, liegt nahe und rückt doch oft in den Hintergrund.

Schliesslich warten in den USA mehr als 3.500 Menschen in den Todestrakten auf den staatlich angeordneten Tod, und noch immer sitzen drei Dutzend ehemalige Aktivisten der Black Panther Party (BPP) und ihres bewaffneten Arms, der Black Liberation Army (BLA) in den us-amerikanischen Knästen.

Mehr als dreissig Jahre ist es her, dass in Oakland, Kalifornien die Black Panther mit ihrem 10-Punkte-Programm und der Parole "power to the people" an die Öffentlichkeit traten. Heute ist von der Organisation, die sich wie ein Lauffeuer in den gesamten USA ausbreitete und zum vielleicht bewegendsten Teil der Black Power-Bewegung wurde, nicht einmal mehr der Mythos übrig, der sich in Filmen - wie beispielsweise "Panthers" von Lee Lu Lee - Autobiografien ehemaliger AktivistInnen und Rap-Songs wiederspiegelt. Von den Erfahrungen und dem Aktivismus der Tausenden von Mitgliedern und der politischen Bedeutung, die die BPP in ihren besten Jahren hatte, ist heute in den USA kaum noch etwas zu merken und zu sehen. Wenig präsent zu sein scheint auch die historisch gewachsene Idee der militanten (Selbst-)Verteidigung der afro-amerikanischen Commnunities: Black Power - die Stärke, die Geschicke der eigenen Communities ohne die allgegenwärtige Präsenz und Dominanz der Nachkommen der weissen Kolonialherren wirklich selbst bestimmen zu können. Zu diesem Zweck wollten die Panthers nicht nur in der Lage sein, die schwarzen Communities, ihre Strukturen und Politik notfalls auch bewaffnet verteidigen zu können. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit – die zu dieser Zeit den Nerv der afroamerikanischen Bevölkerung traf und der BPP massenhaften Zulauf bescherte – lag auf konkreter sozialer und politischer Basisarbeit. Was aber ist aus den AktivistInnen geworden, die sich in den Suppenküchen, in den Free Clinics, den Bildungsprojekten und auch der BLA engagierten?

"Viele Mitglieder und SympathisantInnen der Panther haben nach deren Auflösung Mitte der 70er Jahre und der staatlichen Verfolgung durch das Aufstandsbekämpfungsprogramm COINTELPRO mehr oder weniger desillusioniert aus dem politischen Aktivismus zurückgezogen," sagt Safiya Bukhari-Alston, Gründungsmitglied des Black Panther Ortsverbandes in New York. Andere der Aktivisten, die der damalige FBI-Direktor J. Edgar Hoover als "die größte Bedrohung für die innere Sicherheit der USA" bezeichnete, arbeiten heute in sozialen Einrichtungen oder haben sich eine Nische an Colleges und Universitäten geschaffen. Ein anderer Teil ist mit der Bewegung zusammengebrochen und auf der Straße gelandet. Übrig geblieben - und doch aus dem öffentlichen und linken Bewusstsein zumeist verdrängt – sind alleine die politischen Gefangenen der BPP, die zum Teil schon seit über 30 Jahren in den Hochsicherheitsgefängnissen ihre drakonischen Strafen absitzen.

Die staatlichen Stellen, allen voran die Bundespolizei FBI, reagierte damals schnell und unerbittlich gegen die Black Panther mit ihren radikalen Forderung, die sich - anders als die Bürgerrechtsbewegung - auch mit Waffen zur Wehr setzten. Im Rahmen des Counter Intellegence Program (COINTELPRO) wurden Dutzende AktivistInnen ermordet, Konflikte provoziert, BPP-Aktivitäten - wie das kostenlose Frühstücksprogramm für Kinder - hintertrieben und Hunderte Panthers hinter Gitter gebracht. Der Verteidigungsminister der BPP, Geronimo Pratt, berichtet: "Die Spitzel kamen an und schlugen vor, Gebäude in die Luft zu sprengen, Polizisten zu erschießen, radikal vorzugehen."

Vielen AktivistInnen wurden Taten angehangen, die sie nicht begangen haben konnten. So auch Geronimo Pratt selbst. Der Vietnam-Veteran saß wegen Mordes an einer weissen Lehrerin mehr als zwanzig Jahre im Gefängnis, obwohl das FBI wusste, dass er zu der fraglichen Zeit nicht am Tatort gewesen sein konnte. Die Bundespolizei hatte zur gleichen Zeit ein BPP-Treffen überwacht, an dem Geronimo teilnahm. Erst 1997 fand sich ein Richter, der bereit war, Pratt aufgrund der inzwischen freigegebenen FBI-Akten aus dem Gefängnis zu entlassen. Und dabei hatte der BPP-Aktivist mit seinem Gang ins Gefängnis noch Glück: Eigentlich wollte dass FBI ihn am 8. Dezember 1969 in seinem Bett und bei anderen Gelegenheiten auf der Straße erschießen: "Ich war durch Vietnam daran gewöhnt, dass auf mich geschossen wurde. Wenn die Kugeln nahe an dir dran sind, dann machen sie ein pfeifendes Geräusch. Diese Kugeln waren sehr nahe und es war reines Glück, dass sie mich nicht trafen."

Den staatlichen Stellen gelang es mit den COINTELPRO-Methoden und der entsprechenden Flankierung durch die Medien nicht nur, den Panthers schwere Schläge zuzufügen. Damit einher ging auch eine politische und gesellschaftliche Isolierung, die die BPP mehr und mehr von Basis und UnterstützerInnen abschnitt. War es den Panthers bis dahin gelungen, mit ihren Sozial-, Bildungs-, Antidrogen- und Gesundheitsprojekten in den Communities eine breite politische Verankerung zu erreichen, sollte sich dies nun ändern: Prominente Sympathisanten distanzierten sich von der Organisation, die Verankerung in den Communities ging zurück und die nachlassende Orientierung auf die Sozialprojekte gepaart mit der Repression ließ die ehemals starke Basisbindung der Panthers schwinden.

Auch der heute 47jährige Jalil Muntaqim gehört zu denjenigen, die seit über zwei Jahrzehnten den Preis des mit allen Mitteln geführten staatlichen Krieges gegen die Panthers, das American Indian Movement und die puertoricanische Unabhängigkeitsbewegung zahlen. Der Mann mit dem Vollbart und den großen Augen - seit 1970 Mitglied der Black Liberation Army und einer der aktivsten BPP-Gefangenen - sitzt seit 28 Jahren wegen Mordes an zwei New Yorker Polizisten im Hochsicherheitsgefängnis in Auburn im Bundesstaat New York. Dass der neben manipulierten Zeugenaussagen einzige Beweis in seinem Fall - ein Ballistikgutachten, das seine Waffe als Mordwaffe identifizierte - mittlerweile als FBI-Konstrukt und falsch enthüllt wurde, konnte bislang keinen Richter dazu bewegen, ihn freizulassen: "Der Richter hätte daraufhin das Urteil aufheben müssen", erzählt Jalil gefasst von seiner letzten gerichtlichen Anhörung fuer ein Wiederaufnahmeverfahren im Jahr 1992, obwohl seine Erregung deutlich zu spüren ist. "Aber er bezeichnete die Falschaussage des Ballistikers als harmlosen Fehler." Nach einer kurzen Pause bricht es aus ihm heraus: "Er wirft die Waffe aus dem Verfahren, den einzigen Beweis, und nennt das einen harmlosen Fehler."

Jalil, der seit seinem 19. Lebensjahr im Gefängnis sitzt, seine Tochter nur aus den Besuchszellen des Hochsicherheitstraktes kennt und mittlerweile Großvater ist, hat während seiner Haft nicht nur Knastaufstände organisiert und Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Er hat sich auch eingehend mit der Geschichte und der Zerschlagung der Panthers auseinandergesetzt: "Wir hätten damals die gesamte Parteistruktur in die Illegalität retten und auf solider Basis eine neue, legale Organisation aufbauen müssen." Selbstkritisch fasst er zusammen: "COINTELPRO war extrem erfolgreich und das liegt nicht zuletzt daran, dass wir keine genügende Vorstellung davon besaßen, was es bedeutet, eine Bewegung weiterzuentwickeln und auch verteidigen zu können."

Auch die New Yorker BPP-Mitbegründerin Safiya Bukhari-Alston resümiert im Nachhinein: "Um eine Bewegung so voranzutreiben, wie wir es getan haben, hatten wir nicht die notwendige Bildungs- und Organisierungsarbeit auf der Straße geleistet. Wir waren jung, idealistisch und wir waren ungeduldig. Wir hätten zuerst eine Grundlage schaffen und mehr als nur 30.000 Leute organisieren müssen." Aber die einzige weibliche Koordinatorin eine BLA-Einheit sieht den Niedergang der Panthers nicht nur in derartigen politisch-strategischen Fehlern und COINTELPRO begründet: "Machismo, der Persönlichkeitskult, den einige Führungsmitglieder betrieben, und der widersprüchliche Umgang mit Drogen haben entscheidend dazu beigetragen, dass die Panthers und der bewaffnete Untergrund, die Black Liberation Army, heute nicht mehr existieren," fasst sie zusammen. So gehörten beispielsweise Mitglieder der BLA einerseits zu denjenigen, die im New Yorker Stadtteil Bronx ein Gesundheitszentrum aufbauten, in dem mit Hilfe von Akupunktur und Homöopathie ambulanter Drogenentzug ohne Substitution angeboten wurde. Andererseits, kritisiert Safiya, finanzierten sich einzelne Einheiten der Black Liberation Army in ihrer späten Phase auch durch Drogendeals und achteten nicht darauf, inwieweit ehemalige UserInnen, die sie in ihre Reihen rekrutierte, sich mit ihrer Sucht auseinandergesetzt hatten. "Das führte in den Prozessen gegen mehrere Black Liberation Mitglieder Mitte der 80er Jahre dazu, dass es der Justiz gelang, diese Leute unter Druck zu setzen und Kronzeugen aus ihnen zu machen. Wenn es vorher einen genaueren Umgang untereinander gegeben hätte, wäre das vielleicht nicht passiert," meint Safiya heute.

Hinzu kamen die Zwistigkeiten zwischen den Panther-Anführern Eldridge Cleaver und Huey P. Newton, die später zu bitteren, teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Panthers an der Ost- und an der Westküste und schließlich zur Spaltung der Organisation führten. Diese Differenzen waren zwar vom FBI mit gefälschten Briefen und ähnlichen Methoden geschürt worden. Viele der damals aktiven beschreiben die Auseinandersetzungen heute aber nicht nur als politischen Konflikt - Hinwendung zu Afrozentrismus auf der einen, die Vorstellung von breiten Bündnissen mit anderen gesellschaftlichen Minderheiten auf der Grundlage eines Trikontsozialismus auf der anderen Seite -, sondern auch als Probleme, die viel mit Egozentrik und dem hierarchischen Aufbau der Organisation zu tun gehabt haben.

Diese politischen und strukturellen Schwächen bekommen heute auch die immer noch inhaftierten Aktivisten zu spüren. Viele von ihnen haben kein Geld, um sich die teuren Anwälte, Recherchen und Wiederaufnahmeverfahren leisten zu können, die mangels einer politischen Lösung den Schlüssel für den Weg in die Freiheit darstellen könnten. Doch nicht selten bekommen sie nicht einmal mehr Besuch, da sich die Familien den weiten Weg zu den in der Provinz liegenden Hochsicherheitsknästen nicht leisten können und die politische Bewegung weggebrochen ist. "Meistens gibt es niemanden, der sich für sie einsetzt, sie bekommen keine Besuche, noch nicht einmal von ihren Familien. Und die Leute, die mit ihnen Teil dieser Kämpfe waren, erinnern sich nicht mal mehr an ihre Namen", beschreibt Safiya das Problem.

Heute gehört die in einem Rechtshilfeprojekt arbeitende ehemalige Medizin-Studentin zu den InitiatorInnen des Jericho-Movements, einer Koalition von Bürgerrechtsgruppen, ehemaligen Panthers, StudentInnen und Restlinken in den USA. Die Gruppe will die Freiheit der politischen Gefangenen und Kriegsgefangenen in den USA erreichen und die notwendigsten Ressourcen für entlassene Gefangene zur Verfügung stellen, die sonst auf der Straße landen würden. "Wenn du die Leute deiner Bewegung nicht unterstützt, die die Opfer gebracht haben, wie willst du dann irgendjemanden dazu bringen, sich zu engagieren", beschreibt sie ihre Motivation für diese Arbeit.

Im Gegensatz zu den Bedingungen für politische Gefangene in anderen Staaten - wie beispielsweise in Italien oder Deutschland - sind die Chancen der 35 immer noch inhaftierten BPP- und BLA-Gefangenen, die Knäste lebend zu verlassen, extrem gering. Lebenslang bedeutet in den USA tatsächlich bis zum Tod. Das demonstriert die US-Justiz aktuell an dem ehemaligen Panther und BLA-Aktivisten Nuh Washington: Nach 29 Jahren Haft ist bei dem heute 62jährigen im Dezember 1999 Krebs diagnostiziert worden. Die Ärzte prognostizieren, dass Nuh innerhalb des nächsten Jahres sterben wird. Doch sämtliche Versuche, eine Haftentlassung aufgrund von medizinischen und humanitären Gründen zu erreichen, sind bisher gescheitert. Nuh wurde gemeinsam mit zwei anderen BLA-Mitgliedern 1971 unter zweifelhaften Umständen wegen Polizistenmordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Die nur noch mit Rachsucht zutreffend charakterisierte Politik der us-amerikanischen Sicherheitsbehörden gegenüber ihren ehemaligen politischen Gegnern verhindert, dass Nuh die letzten Monate seines Lebens in Freiheit verbringen kann.

Von Anfang an bestritt die US-Regierung die Existenz von politischen Gefangenen und reduzierte selbst die spektakulärsten politischen Prozesse auf Anklagen wegen "krimineller Vereinigung" und "Hochverrat", die mit einer Anti-Mafia-Gesetzgebung verfolgt wurden. Auch in weiten Teilen der amerikanischen Gesellschaft existiert keinerlei Bewußtsein oder Diskussion über die Existenz politischer Gefangener, von Amnestie-Forderungen ganz zu schweigen. Zwar wurden im Sommer zwölf KämpferInnen der puertoricanischen Unabhängigkeitsbewegung aufgrund des großen Drucks in Puerto Rico von Präsident Clinton begnadigt und auch einige AktivistInnen aus dem weissen antiimperialistischen Widerstand - insbesondere dem Weather Underground - wurden in den vergangenen Jahren nach zum Teil jahrzehntelanger Haft unter strengen Bewährungsauflagen entlassen. Den in den Knästen verbliebenen ehemaligen BPP- und BLA-Aktivisten und auch den Gefangenen des American Indian Movements, wie Leonard Peltier, sind diese Wege jedoch zumeist verstellt: Sie wurden zu lebenslangen Strafen verurteilt, und es fehlt an dem notwendigen politischen Druck für ihre Freilassung.

Genau das will Jericho jetzt ändern - mit Demonstrationen, Unterschriftenkampagnen und zivilem Ungehorsam, getragen von einer breiten, organisationübergreifenden Bewegung. Die Kampagne, die im Rahmen einer bundesweiten Demonstration vor dem Weißen Haus 1998 entstanden ist, hat in den vergangenen Monaten bereits eine erstaunliche Breite erreicht und ist heute mit Gruppen in Kalifornien, Colorado, Texas, Nebraska, Washington DC, New York, Massachusetts und regionalen Komitees im ganzen Land vertreten. Konkrete Ziele sind der Aufbau der Amnestie-Kampagne für die Gefangenen und eines Rechtshilfefonds, die Sicherstellung der medizinischen Versorgung der Gefangenen und Bildungsarbeit zu den politischen Gefangenen. Die Kampagne könnte den Startpunkt für us-weite Bewegung in der Frage der politischen Gefangenen bilden.

Doch es geht Jericho nicht nur um die Freiheit der einzelnen politischen Gefangenen: "Mit dem breiter werdenden Kampf um unsere Freiheit und unserer Anerkennung als politische Gefangene ist notwendigerweise auch die Auseinandersetzung über unsere Geschichte als Bewegung untrennbar verbunden", führt Jalil Muntaqim aus, der ebenfalls zu den Jericho-InitiatorInnen zählt. Eine Auseinandersetzung, die die Black Panther Party aus dem Nebel des Vergessens holen soll, und von der sich die Jericho-InitiatorInnen ein wachsendes politisches Bewusstsein als Basis für neue politische Bewegung erhoffen.

 

Einzelne Zitate sind entnommen aus "Black Power - Interviews mit (ex-)Gefangenen aus dem militanten schwarzen Widerstand", Berlin 1993. Die anderen stammen aus Interviews vom Sommer 1999 und vorangegangenen Jahren in den USA.

Jericho National Organizing Committee, P.O. Box 650, New York, NY 10009
Fon: (212) 330-9190
http://www.thejerichomovement.com
E-mail:Jericho98@usa.net

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