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  Neue Verteidigungsstrategie
Mumia Abu-Jamal äußerte sich erstmals zum Tatvorwurf. Berufskiller Beverly gesteht Polizistenmord. Von Annette und Michael Schiffmann. Aus jungeWelt vom 12.05.2001
 
 

Wie bereits berichtet (jW vom 7. Mai) sind die neuen Anwälte des zum Tode verurteilten afroamerikanischen Journalisten Mumia Abu-Jamal, Marlene Kamish und Eliot Lee Grossman, am 4. Mai 2001 in Philadelphia vor die Öffentlichkeit getreten und haben Dokumente präsentiert, die zum ersten Mal belegen, daß ihr Mandant im Juli 1982 unschuldig zum Tode verurteilt worden ist. jW dokumentiert die eidesstattlichen Erklärungen von Mumia Abu-Jamal - »Ich habe nicht auf Faulkner geschossen« - und des Berufskillers Arnold R. Beverly, der gesteht, den Polizisten Daniel Faulkner am 9. Dezember 1981 im Auftrag der Unterwelt ermordet zu haben. (Siehe die beiden nachfolgenden Texte)

Als Mumia Abu-Jamal im Dezember 1981 verhaftet wurde, hatte er sich bereits seit Jahren weit über Philadelphia hinaus einen Namen gemacht mit seinen Rundfunk-Features über den grassierenden Rassismus seiner Heimatstadt und die berüchtigte Gewalttätigkeit, Korruptheit und Brutalität der örtlichen Polizei.

Abu-Jamals bohrende Fragen auf Pressekonferenzen waren so verhaßt, daß Bürgermeister Frank Rizzo 1978 einmal völlig ausrastete und Abu-Jamal vor laufenden Kameras anbrüllte:

»Die Leute glauben, was Sie schreiben und was Sie sagen, und damit muß endlich Schluß sein. Eines Tages - und ich hoffe, das wird noch im Lauf meiner Karriere sein - wird man Sie für Ihr Treiben verantwortlich machen und zur Rechenschaft ziehen.«

Schon 1973 hatte ein US-Bezirksgericht festgestellt, daß polizeiliche Übergriffe in Philadelphia mit solcher Regelmäßigkeit aufträten, daß sie keineswegs mehr als »seltene, vereinzelte Vorfälle abgetan« werden könnten und daß die Stadt »wenig oder nichts« unternähme, um solche Übergriffe zu bestrafen.

1978 ergab eine Untersuchung durch das Abgeordnetenhaus von Pennsylvania, daß die polizeilichen Übergriffe in Philadelphia den Grad »mörderischer Gewalttätigkeit« erreicht hätten. In den Jahren 1970 bis 1974 hatten in Philadelphia 226 Bürger Schußwunden durch die Polizei erlitten - 143 von ihnen waren unbewaffnet, 80 starben dabei. Von 1974 bis 1978 waren 290 weitere Bürger Opfer von Polizeischüssen geworden.

1979 reichte das US-Justiz-Ministerium eine Klage gegen Philadelphias Bürgermeister Rizzo wegen Duldung der überhandnehmenden rassistischen Polizeibrutalität ein - ein in der US-Geschichte einmaliger Schritt. Die Untersuchung förderte eine endlose Litanei von Gewalttätigkeit, Korruption, Bestechungen, erzwungenen Falschaussagen sowie Nötigung und Erpressung von Zeugen durch die Polizei zutage.

Die Stadt Philadelphia legte bis zum Obersten Gerichtshof Berufung ein, und die Klage wurde schließlich mit der Begründung abgewiesen, es gäbe keinen Hinweis darauf, »daß das Verhalten der Polizei von Philadelphia sich nach Art und Ausmaß von dem, das es auch anderswo gibt, unterscheidet«. Was die Sache keineswegs besser macht und leider der Wahrheit entspricht. So ist im Bericht der Menschenrechtsorganisation »Human Rights Watch« von 1998 beim Städtebericht über Chicago zu lesen, daß es 60 aktenkundige Fälle für die Zeit von 1972 bis 1993 gibt, in denen die Polizei des »Bezirks 2« Verhaftete systematisch mit Schlägen, Erstickungsversuchen und Elektroschocks gefoltert hat, um Mordgeständnisse zu erzwingen, die in späteren Verfahren zu Todesurteilen führten.

Abu-Jamals Verhaftung und der darauffolgende Prozeß waren ein schlagender Beweis für die Richtigkeit seiner heftigen Kritik der herrschenden Verhältnisse. Er war als Staatsfeind ausgemacht worden, und als solcher wurde er zur Strecke gebracht. Der Staatsanwalt Joseph McGill brandmarkte ihn von Anfang an als manischen, haßerfüllten Copkiller und führte zum Beweis für die Gesinnung des Angeklagten ungeniert Abu-Jamals gesamte politische Vergangenheit als Pressesprecher der Black Panthers an, nicht ohne immer wieder zu versichern, daß hier nicht über die Gesinnung, sondern über die Tat Urteil gesprochen werde. Sein eigener krankhafter Haß jedoch kam deutlich in seinem Abschlußplädoyer zum Ausdruck: »Jeder kann genau die Philosophie annehmen und vertreten, die er will. Das ist in Ordnung.(...) Was aber nicht toleriert werden kann, ist die ständige Schmähung der Autorität, der alltägliche Gesetzesbruch. Das wird einfach nicht geduldet.«

Die Hauptbelastungszeugin im Verfahren gegen Mumia Abu-Jamal - die Prostituierte Cynthia White - ist, wie 1996 definitiv klar wurde, für ihre Aussagen mit der Niederschlagung von gegen sie anhängigen Strafverfahren und mit dem Schutz der Polizei bei ihrer Tätigkeit als Prostituierte belohnt worden. Eine Entlastungszeugin - Veronica Jones -, die ursprünglich vor der Polizei über zwei vom Tatort fliehende Männer ausgesagt hatte, wurde unter hoher Strafandrohung dazu erpreßt, ihre Aussage fallenzulassen. Veronica Jones hat die erpreßte Falschaussage, die sie im Prozeß gegen Abu- Jamal gemacht hatte, 1996 unter Eid widerrufen und mehrfach öffentlich erklärt, ihren furchtbaren Fehler von 1982 wiedergutmachen zu wollen, indem sie nunmehr die Wahrheit sagt: »Meine Aussage war eine große Lüge, die jemanden fast das Leben gekostet hat, und ich hoffe, daß es nicht dazu kommen wird.«

Ab 1992 hatte Abu-Jamal endlich ein fähiges Verteidigungsteam unter Leitung des Bürgerrechtsanwalts Leonard Weinglass, das seither immer die Verteidigungsstrategie »Unschuldig bis zum Beweis des Gegenteils« mit der Devise verfochten hat, »daß Aussagen eines Angeklagten nur in einem ordentlichen Prozeß etwas zu suchen haben«, und alle Energie auf die Gewährung einer Wiederaufnahme des Verfahrens richtete.

In diesem März nun begann die dramatische Wende in Abu-Jamals eigener Verfahrensstrategie, indem er beim zuständigen Bundesrichter Yohn die Entlassung seines gesamten Verteidigerteams beantragte, weil einer der Anwälte, Dan Williams, die bevorstehende Veröffentlichung eines Buches über den Fall bekanntgab. Mumia Abu-Jamal sagt, er habe davon nichts gewußt und sieht in diesem Vorgehen einen schwerwiegenden Verstoß gegen die anwaltliche Ethik. Der Entlassung wurde stattgegeben, und am Freitag, den 4. Mai, hat das neue, von ihm zusammengestellte Verteidigerteam sich auf einer Pressekonferenz in Philadelphia mit einer ganz neuen Strategie vorgestellt.

Zum ersten Mal hat Abu-Jamal sich offiziell zu den Ereignissen am 9. Dezember 1981 geäußert, ebenso wie sein Bruder und der Berufskiller Arnold R. Beverly. Angesichts der aktuellen Tagespresse von Philadelphia nimmt sich Beverlys Aussage gar nicht mehr als die haarsträubende Räuberpistole aus, als die sie auf den ersten Blick erscheint - ist dort doch seit Wochen zum wiederkehrenden Mal in vielen Jahren genau »der Mob« das Thema Nummer eins: die Unterwelt von Philly, gegen deren Oberboß Joseph »Skinny Joey« Merlino zur Zeit ein spektakulärer Prozeß geführt wird, der die serienmäßigen und namentlich benannten Auftragsmorde unter anderem gegen Kronzeugen der Verteidigung zum Gegenstand hat.

 
Quelle:
jungeWelt vom 12.05.2001

Weiterführende Links:
Unter den Augen des FBI
Warum hat ein FBI-Mitarbeiter etwas zum Fall von Mumia Abu-Jamal zu sagen ? Von Jürgen Heiser (25.05.2001)
Berufskiller gesteht Polizistenmord
Verteidiger von Mumia Abu-Jamal legten brisantes Entlastungsmaterial vor. Von Jürgen Heiser. Aus jungeWelt vom 07.05.2001 (25.05.2001)

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